SoS – 11 Walters Unfall

Es war schon sieben Uhr fünfzehn, als wir in der Tankstelle ankamen. Die Mechaniker standen vor der Werkhalle. Die Alte, wie wir unsere Mutter nannten, stoppte mitten in der Einfahrt und schrie aus dem Fenster, habt Ihr nichts zu tun? Eure Arbeitszeit hat vor fünfzehn Minuten begonnen. Einer der Mechaniker sagte, Walter sei noch nicht da, der hatte ja die Schlüssel. Sie sperrte die Türen auf, ich fing an den Boden zu putzen, und sie versuchte Walter anzurufen – keine Antwort. Dann rief sie Walters Nachbarn an und brüllte ins Telefon, die sollen nachschauen, ob Walter weggefahren ist – kein Erfolg. Sie nahm die Autoschlüssel, fluchte, dem werde ich es schon zeigen, zu spät in die Arbeit zu kommen und fuhr los. Zuvor kommandierte sie, was ich alles erledigt haben musste, bis sie wieder kam.

Sie war zurück, und der Alte (mein Vater) war dann auch da, ich konnte nur hören, dass Walter einen Unfall hatte und seine Frau im Krankenhaus war. Sie sagte, ihm aber ist nicht soviel passiert, er könne, wenn er wolle, arbeiten. Walters Frau wurde nach Nürnberg ins Krankenhaus verlegt, weil ihr Gesicht total von der Glasscheibe zerschnitten war. An einem Samstag nachmittag sagte die Alte zu mir, Du ziehst Dich um und fährst mit Walter ins Krankenhaus und bringst seiner Frau ein paar Blumen und sagst, dass ich auch mal komme, wenn ich Zeit habe. Ich tanzte innerlich vor Freude, aber ich sagte nur ja. Als Walter um vierzehn Uhr mit der Arbeit fertig war, sagte sie noch so scheinheilig zu mir, aber sehr bestimmt, Du bringst Grüsse von der Familie und lässt wissen, wie traurig wir über das Geschehene sind. Vor allem gehorchst Du Walter, Du machst alles was er sagt.

Es war schlimm, wie die Frau von Walter aussah, und sie war doch so schön. Das Gesicht voller Narben und die Nase krumm. Ich erinnerte mich, dass sie immer freundlich war und mir sogar ihren Bikini geschenkt hatte. Gegen Abend verließen wir das Krankenhaus, und Walter fragte, ob ich Hunger hätte. Da fiel mir ein, dass ich ja den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Die Alte gab mir fünf Mark mit, aber drei Mark hatten ja schon die Blumen gekostet. Nun werde ich schon etwas für zwei Mark zu essen finden. Das brauchte ich nicht. Walter lud mich zum Essen ein. Als wir aus der Gaststätte kamen, war es schon dunkel, und ich machte mir Gedanken, was die Alten denken, denn wir brauchten ja noch zwei Stunden um nach Hause zu kommen. Ich war sehr müde, blieb aber wach. Irgendwo hat Walter angehalten, weil er auf die Toilette musste.

Als er wieder ins Auto stieg, fragte er mich, kannst Du Dich erinnern, was Deine Mutter gesagt hat? Im Moment wusste ich nicht, was er meinte, aber er wiederholte ihre Worte: “Du machst alles was Dir Walter sagt.” Es ging mir der ganze Tag wie Windeseile durch den Kopf, und ich konnte nichts Unrechtes an meinem Benehmen finden, was ich ihm auch sagte. Das meine ich auch nicht, sagte er. Was er wirklich meinte, zeigte er mir auch gleich. Dieses Schwein war in Sekunden in meinem Unterhöschen. Ich weiß heute nicht mehr ob etwas geschehen ist oder nicht. Ich weiß nur, dass ich mich mit aller Gewalt gewehrt habe.

Je näher wir nach Harburg kamen, desto weniger fiel mir ein, was ich machen könnte, dass niemand mir den Vorfall anmerkte. Was sollte ich tun? Wir erreichten das Haus und Gott sei Dank, alles war dunkel. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Walter sagte noch, glaube ja nicht, dass Dir irgendjemand glaubt. Deine Mutter kann mich viel zu gut leiden.

Leise schlich ich mich ins Haus und die Treppe hoch. Da hörte ich den Pfiff, und das Licht ging im Schlafzimmer an. Ich klopfte an die Tür und streckte nur meinen Kopf hinein. Wo kommst Du her mitten in der Nacht? Total verdattert glaubte ich, dass die Alte vergessen hatte, ihm zu sagen, wo sie mich hingeschickt hatte. Falsch, die Anschuldigung war, niemand glaubt Dir, dass Du die ganze Zeit mit Walter zusammen warst. Ängstlich und kleinlaut sagte ich, bitte frage ihn doch morgen selbst. Ich war so froh, dass er mir nicht angesehen hat, dass etwas passiert war.

Erleichtert ging ich in mein Zimmer. Das Licht weckte mich wieder auf, es war circa eine Stunde später, und meine Mutter sagte, ich solle ins Schlafzimmer kommen. Oh Gott, hilf mir! Ich musste mich in die Mitte legen, meine Mutter deckte mich mit ihrer Decke zu. Er wollte haargenau wissen, wie der Tag verlief und ob Walter etwas gemacht hätte. Ich erzählte an es sehr ausführlich bis auf den Zwischenfall. Er bohrte und drohte und wollte wissen, was auf der Heimfahrt gewesen sei. Ich log und beteuerte, dass ich den ganzen Weg geschlafen hätte und nichts anderes wüsste.

Jetzt wurde er drohend. Flehend und Hilfe suchend schaute ich meine Mutter an, die nur sagte, Du musst die ganze Wahrheit sagen. Ich werde Dich morgen zu Dr. Fuchs bringen, was mich aber in dieser Nacht nicht rettete. Gut, sagte er. Wenn Du nichts sagen willst, ich werde es herausfinden. Er setzte sich auf, knallte mir eine, schlug die Bettdecke meiner Mutter zurück, spreizte meine Beine und fing an mich zu untersuchen ob ich noch Jungfrau sei. Er befummelte mich mit den Fingern im Schambereich. Ich versuchte mich zu wehren, hatte aber keinen Erfolg damit, also schloss ich die Augen vor Scham und biss auf die Zähne vor Wut. Als er an einer bestimmten Stelle war, fragte er mich, ob dies mir gut täte. Alle meine Antworten waren immer nein, bitte hör’ auf. Wenn Du mir nichts sagen willst, muss ich es selbst herausfinden, und er schob mir einen Finger in die Vagina. Da schnappte ich aus und wurde ohnmächtig. Was er herausfand oder nicht, weiß ich heute noch nicht, es wurde nie mehr darüber gesprochen.

Von diesem Tag an empfand ich nur noch Schande und Scham, und ich wollte nie mehr das Gesicht meines Vaters sehen. Sein Verhalten veränderte sich auf eine Weise, die mir mehr Angst machte als Prügel. Er versuchte bei jeder Gelegenheit mit mir alleine zu sein, aber irgendwie schaffte ich es, ihm aus dem Wege zu gehen. Seit dieser Zeit verschloss ich nachts meine Türe, was aber nicht viel half. Wenn die Alte nicht zu Hause war, musste ich ihm immer Fragen beantworten, die sehr peinlich waren und dann zeigen, ob meine Brüste schon gewachsen waren. Er wollte wissen, warum ich ihm nicht erzählt hatte, dass ich schon die Periode hätte. Wenn ich nicht antwortete schlug er zu.

Langsam verlor ich die Balance, die mir sagte was richtig oder falsch war. Mein natürliches Gefühl für Recht und Unrecht wurde durch solche extreme Situationen in Frage gestellt. Dann sagte ich mir, vielleicht bin ich doch nicht so intelligent wie ich glaubte, vielleicht haben meine Eltern wirklich das Recht all dies zu tun. Vielleicht haben Kinder wirklich kein Recht, weil Eltern sie in diese Welt brachten und sie deshalb auch das Recht beanspruchen mit ihren Kindern zu tun was sie für ‘Recht’ halten. Es wurde mir bewusst, dass Erwachsene ständig nach der sogenannten Wahrheit suchen und sich doch nicht einigen können; wie soll ein Kind dann rissen, was richtig oder falsch ist? Die Gesetze wurden von sogenannten intelligenten Erwachsenen gemacht und sind trotzdem fehl bar und widerlegbar. Wie wichtig kann dann mein ‘Gefühl’ für Recht und Unrecht sein, wenn jeder glaubt alles zu wissen.