SoS – 12 Ins Rektorat

Rektor Fielechner ermahnte mich zum zweiten Mal, mich richtig auf meinen Stuhl zu setzen. Ich versuchte es, aber es schmerzte zu sehr. Dabei kamen mir die Gedanken und eine Lösung. Immer wenn ich mich über den Waschküchentisch legen und mit meinen Händen am anderen Ende festhalten musste, und er (Vater -OD) immer an meiner linken Seite steht, weil er ja den Gummischlauch mit der rechten hält, immer schlägt er auf meine rechte Seite. Ich war sowieso überall geschwollen vom Treppensturz.

Wie könnte ich einen Unfall für ihn vorbereiten, damit er sich die rechte Hand bricht oder wirklich arg verletzt, damit er mit der linken Hand schlagen muss und somit auf meiner rechten Seite steht? Dann würde vielleicht meine linke Seite mehr abbekommen und meine rechte vielleicht abheilen.

Ich kam nicht mehr dazu einen Plan auszuarbeiten, da der Rex schon neben mir stand und mich mit der Hand auf den Rücken schlug. Ich schloss die Augen, biss mir auf die Zähne und versuchte, die gewünschte Sitzhaltung einzunehmen. Ich hörte hinter mir den Bauer Werner schreien, Herr Rektor, jetzt blutet sie.

Der Rex war ganz schön geschockt, weit er glaubte, er hätte mir etwas zugefügt. Ich musste ins Rektorat, und mehrere Lehrer waren um mich und fragten. Meine Lieblingslehrerin, Frau Böhm, fragte mich, ob ich meine Bluse ausziehen würde und ihr zeigen, wo ich blutete. Ich wehrte mich mit allen Ausreden, es sei nichts, und ich hätte mich nur gestoßen. Ich wusste, wenn die das sehen, gibt’s Ärger. Die reden dann mit meinem Vater, und dann gibt’s mehr Prügel, weil ich Familienangelegenheiten aus dem Haus getragen habe. Es waren soviele Stimmen im Rektorat; die zuerst lauter und dann immer leiser wurden, bis ich nichts mehr hörte.

Ich wachte auf und sah Dr. Fuchs, unseren Hausarzt, der mich zur Welt brachte, und im nächsten Moment war ich in einem Krankenwagen, auf dem Weg nach Donauwörth ins Rot Kreuz Krankenhaus. Nicht da hin, bitte, ich will heim; die pure Angst und Panik erfasste mich. Der Chefarzt, war der Ex-Chef meiner Mutter. Die waren zusammen im Lazarett in Riga, und alte Schwestern kannten meine Mutter. Irgendwas machte mich sehr müde, und als ich aufwachte, war ich in einem Zimmer allein. Noch sehr benommen suchte ich meine Kleider; ich konnte nur eines denken: Raus bevor die Alte oder Er kommt.

Immer wenn eine Schwester ins Zimmer kam, schaute sie mich sehr mitleidig an, und der Arzt, der nicht der Chefarzt war, stellte sehr unangenehme Fragen. Irgendwann, ein paar Tage später, wurde ich von meiner Mutter abgeholt, und sie erzählte mir, dass ich eine Kur machen müsste und mehr essen sollte.

Dein Vater hat auch mit dem Chefarzt gesprochen. Er war sehr ärgerlich, weil er sich als Fremder in Familienangelegenheiten mischen wollte.

Du musst verstehen, sagte sie, das, was in unserem Haus los ist, geht niemanden etwas an. Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, wo Du eine Gehirnerschütterung her hattest. Da wollte ich ihr ins Gesicht hauen.

Statt dessen stellt ich mich schlafend und dachte über die Fragen nach, die mir der andere Arzt stellte. Warum wollte er wissen, wann ich zum letzten Mal gegessen hatte und ob ich weiß, was ein Hungerödem ist. Ob ich schon immer auf dem Bauch schlafen würde. Ich wollte ihm antworten, wenn Du Striemen am Rücken, Arsch und an den Oberschenkeln hättest, würdest Du diese blöde Frage nicht stellen. Anstatt dessen lag ich einfach da und sagte, ich wüsste es nicht. Dann fragte er mich, wieviele Freundinnen ich hätte und wo wir spielten. Spielen ist für faule Kinder; ich muss im Geschäft arbeiten. – Ob ich sonntags zur Kirche ginge. Ich dachte nur, der hat meine Alte noch nicht gehört, wenn sie sagt, Kirche ist für die Scheinheiligen, Faulen, Bigottischen eine Entschuldigung am Sonntag nicht zu arbeiten. Die tragen das ganze Geld den Pfaffen hin. Der wird davon fett, und dafür zahlt er den faulen voll gefressenen Köpfen zwei Stunden einen Schmarrn.

Jetzt hörte ich die Alte sagen, dass wir gleich zu Hause sind und mein Vater seit ein paar Tagen mit seiner Forschungsarbeit zu tun hätte. Du weißt schon welche – den Schallfrequenzanalysator. Gott sei dank, dass der nicht da ist. Ich hatte nämlich schon wieder das flaue Gefühl im Magen. Eines Tages, sagte ich zu mir selbst, überfährt ihn hoffentlich jemand. Er kommandiert alle Menschen herum, und vielleicht hat ja einer den Mut und schlägt ihn tot. Lieber Gott, Jesus hat gesagt: Lasset die Kindlein zu mir kommen! Wann darf ich?

Mehr und mehr dachte ich an unseren Plan, “ihn” zu beseitigen, aber wir sprachen nie mehr darüber. Nigg sagte manchmal, wenn ich erwachsen bin zahle ich ihm alles heim. Das half mir überhaupt nicht, denn bis dahin ist es ja noch eine Ewigkeit. Was wird in der Zwischenzeit noch alles passieren, und wir müssen es ohne Widerstand ertragen.

Niemand in der Schule sprach über den Vorfall. Jeder der Lehrer, die mit im Rektorat waren, schienen mir auszuweichen. Nur einige meiner Mitschüler fragten, ob ich es im Krankenhaus gut gehabt hätte. Damit war auch dieser Vorfall begraben.