SoS – 17 Der Sklavenhandel

Es sollte besser werden, die Alten hatten vor, in die Türkei zu fahren. Das war ein Grund sich zu freuen. Sie waren ständig unterwegs, irgendwelche Visa und Papiere zu bekommen. Endlich wieder mehr Ruhe im Haus, und ich konnte mich auf meine Arbeitsstelle gedanklich vorbereiten. Die Alte hat gesagt, dass ich für ein Jahr in den Haushalt müsse. Das war noch so üblich, dass man lernte was man in einem Haushalt tun muss. Es gefiel mir überhaupt nicht, da ich Krankenschwester oder Arzt werden wollte. Die Tatsache, dass ich aus dem Haus kann und das für ein ganzes Jahr war Grund genug zu allem ja zu sagen. Wunschträume bezüglich Beruf hatte ich schon lange begraben. Es war nur noch wichtig aus dem Haus zu kommen und wenn möglich weit weit weg.

Es war soweit, sie fuhren los, wir waren alleine. Siegfried, der Jüngste, war in diesem Jahr in seinem ersten Schuljahr und ich in meinem letzten. Zwar war ich mit meinen Brüdern all eine und hatte die volle Verantwortung, die nicht leicht war, aber jede Gelegenheit ohne die Alten war besser und leichter. Dass wir das alles, jeder auf seine Art, voll ausnutzten, war verständlich. Wir gingen zwar zur Schule, aber hinterher tat jeder, was er schon lange tun wollte. Nigg und Hans gingen fast täglich zum Fischen oder fuhren mit dem Auto irgendwo hin. Ich verbrachte die meiste Zeit mit Heidi und endlich auch mit anderen Schulfreundinnen.

Die Mädchen in der Schule sagten, ich sei ganz anders seit meine Eltern weg sind, und sie wunderten sich, dass ich sogar lustig sein konnte. Von der Nachbarin bekam ich ein paar schöne Stoffreste, und eine andere Nachbarin half mir, ein paar schöne Kombinationen zu nähen, die ich natürlich am Sonntag, wenn Werner kam, anzog. Werner kannte nicht glauben, dass ich die Sachen selbst entworfen und genäht hatte. Er sagte immer, egal, was in Deinem Leben passiert, Du schaffst es. Das war unser letzter Sonntag zusammen, da meine Alten nach drei Wochen wiederkamen und Werner mit seinen Eltern am Montag in den Urlaub fuhr, bevor er seine Stelle als technischer Zeichner antrat. Er küsste mich zum erstenmal, und es war zugleich auch ein Abschiedskuss.

Die Schule war für mich für immer aus. Die meisten meiner Freundinnen fuhren mit den Eltern in den Urlaub oder durften die letzten Ferien bei Verwandten verbringen bevor sie ihre ersten Arbeitsstellen antraten. Fast alle durften einen Beruf erlernen, nur drei von uns – ich war eine von ihnen – mussten in den Haushalt.

Es war ein Sonntag, als ich von meinen Eltern nach Stuttgart gebracht wurde. Ich hatte nicht viel einzupacken, das war in einer Stunde geschehen. Auf der Fahrt hat der Alte ununter­brochen geredet und mir erzählt, dass er auf dem Killesberg ein Zimmer hatte, als er auf der Musikhochschule studierte, und dass auf dem Killesberg nur gebildete Leute wohnen. Er redete ununterbrochen. Ich hörte gar nicht mehr zu.

Die Alte hat dann angefangen, dass ich mich sehr benehmen muss und in keinem Fall widersprechen und auch alles tun muss, was die Familie Schatz von mir verlangt. Was soll das schon wieder heißen? Was auch immer, es kann ja nicht schlimmer sein als das, was ich zu Hause alles tun musste, und vor allem bin ich von den Alten weg. Dann sagte sie noch, dass ich mit der Stellung der Familie helfen würde, wieder auf die Beine zu kommen. Damit konnte ich im Moment schon gar nichts anfangen, aber ich fragte nichts, denn ich hatte ein sehr ungutes Gefühl. Ich dachte nur, was es auch immer heißen soll, ich werde es tun, damit ich nicht mehr nach Hause muss.

Nach drei Stunden Fahrt sind wir endlich angekommen. Die Alte fing vor dem Haus der Leute an, an mir herumzukämmen und mein Kleid glattzustreifen, das machte mich ganz nervös, da sie sich noch nie vorher dafür interessierte, wie ich aussah. Als wir die Treppen in dem Haus hinaufgingen, wunderte ich mich, ob ich wohl auch Geld verdienen würde. Ich war schon erstmal enttäuscht, weil ich dachte, dass die Leute in einem Haus und nicht in einer Wohnung wohnten. Es war auch das erstemal, dass ich ein mehrstöckiges Haus mit Mietswohnungen sah.

Wir wurden freundlich empfangen und ins Wohnzimmer geführt. Der Alte machte von vornherein klar, dass er Stuttgart kenne, da er ja als Student hier lebte. Er musste immer den Leuten erzählen, dass er ein wichtiger Mann sei. Ich hasste diese Angeberei. Meines Erachtens ist es nicht notwendig zu sagen, wer man ist, denn was man tut spricht für sich selbst. Die Familie Schatz war von meinen Eltern sehr beeindruckt, nach einem langen und ausführlichen Gespräch, das ausschließlich von meinem Vater geführt wurde und speziell auf seine wissenschaftlichen Arbeiten hinwies.

Dann kam endlich der Vertrag. Jetzt verstand ich, was die Alte meinte, als sie sagte, ich würde der Familie helfen. Sie hatten ja schon seit langem brieflichen und telefonischen Kontakt. Ich fand heraus, dass es alles nur noch eine Formalität war. Es ging um 1.000,- DM, die meine Eltern für mich bekamen. Ich sollte solange bei der Familie Schatz arbeiten, bis die Summe abbezahlt war. Kost und Wohnung frei, und ein Taschengeld von 2,- DM pro Monat sollte ich bekommen, wovon ich mir die Fahrkarte zur Hauswirtschaftsschule kaufen konnte, die jeden Mittwoch sei von acht bis dreizehn Uhr. Den restlichen Tag hätte ich dann auch frei.

Als ich das alles verdaut hatte, war ich innerlich gestorben. Sollte ich trotz allem, was zu Hause passiert war im Laufe der Jahre, noch ein Gefühl für meine Eltern gehabt haben, ist es in diesen zwei Stunden in diesem Haus gestorben. Zugleich wusste ich auch, dass ich denen einen Strich durch die Rechnung machen musste. Aber wie? Mir wurde auch klar, dass die Familie Schatz genauso schuldig war, weil sie sich auf den Handel eingelassen hatten.

Der erste Monat war vorüber und nicht ohne Probleme. Egal, was ich tat, die Frau war nie zufrieden, und der Mann fing an, mich immer mit in sein Apothekenlager zu nehmen, um dort den Versand an die Apotheken fertig zu stellen. Immer, wenn wir all eine waren, wurde er so süßlich nett, aber meine Antenne für Gefahr hielt mich auf dem Laufenden. Richtig, er wollte mich auch betatschen. Seit diesem Tag war ich auf der Hut.

Eines nachts wachte ich auf, als er in mein Zimmer kam. Er sagte, er wolle sich nur ein Buch holen. Ich schlief in einem Zimmer, dass das Frühstückszimmer und eine Bibliothek war. Fast jede Nacht tat er dasselbe und fragte immer, ob ich schlafe. Natürlich habe ich mich schlafend gestellt und hoffte, dass er mich in Ruhe liess. Ich hatte mir schon ausgemalt, was ich tun würde, wenn er sich näherte. Als er eines nachts dann tatsächlich seine Hand unter die Bettdecke schob, schrie ich und seine Frau erschien und fragte, was vorgefallen sei. Er sagte, er wäre im Wohnzimmer gewesen, als ich einen Alptraum hatte, und er wollte nur nach mir sehen.

Von diesem Tag an drohte er mir und erinnerte mich, dass meine Eltern Geld für mich bekommen hatten. Eines nachts kam er wieder, und ich hatte anscheinend gut geschlafen, denn ich merkte nicht, dass er schon in meinem Bett lag, als seine Frau das Licht anschaltete und ihn sah. Sie hat nicht mir die Schuld gegeben, nur gesagt, jetzt weiss ich, warum unsere Hausmädchen immer nur kurze Zeit bei uns waren. Sie stritten sich laut, und ich fühlte mich schuldig, was soll ich tun? Sie wird mich nach Hause schicken. Es war auch so. Am nächsten Tag kam ihre Tochter, und ich wurde mit der Bahn nach Hause geschickt. Sie gab mir einen Brief mit, dessen Inhalt ich nie erfuhr.