Offener Brief an Frau Stamm, Bayerischer Landtag

Sehr geehrte Frau Stamm,

die Anhörung von Heimkindern am 12. Juni 2012 kann noch mehr Wahrheit ans Licht bringen, die seit 50 Jahre verschwiegen wird. Die Frage ist, wollen Politiker diese Wahrheit wirklich hören und was wird das Ergebnis sein.

Was in den grausamen Schilderungen der Heimkinder beim ersten Blick oftmals nicht erkannt wird, sind die Dauerschäden Einzelner und der versteckte Gesamtschaden eines Landes.

In 1949 wurde die neue Demokratie gegründet deren erster Artikel ist: „ Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Ein Jahr zuvor unterzeichnete die deutsche Regierung das Menschrechts-Abkommen. Und doch kam es zu den schlimmsten Menschrechtsverletzungen an Kindern in der Obhut dieser Unterzeichner.

Gerne hätte ich das Angebot des Sozialpolitischen Ausschuss war genommen um meine gesammelten Fakten, zum Thema Heim-Zeit vorzutragen; doch ich habe keine Einladung bekommen.

Die Vergehen an Heimkindern haben menschliche und sozialpolitische Folgen die bislang nur am Rande, wenn überhaupt beachtet wurden.

Das erlittene Leid hinterließ vor allem psychische Schäden die aus Unkenntnis, Gleichgültigkeit oder auch noch a. G. hierarchischem Denken, nicht beachtet werden oder keinen Platz im Budget finden. Dazu kommt, dass die Psychologie nicht die weltweiten wissenschaftliche Erkenntnisse implementieren, (Gen-Veränderungen durch Gewalteinfluss und die daraus resultierenden psychischen, körperlichen und permanent organische Schäden) sondern den vorhandenen Schmerz noch immer „ managing“ anstatt auf Heilung des Trauma zusteuern.

Der entstandene Lebens lange soziale Schaden der Betroffen wurde nie im Detail angesprochen.

Wie viele dieser Misshandelten hatten nie eine Chance ihr Leben frei zu gestalten.

Identitäten wurden durch Gewalt und Misshandlung zerstört . Viele dieser Kindheitsopfer leben heute am Existenzminimum, weil deren Persönlichkeit nicht gefördert und weiter bildende Möglichkeiten verweigert wurden wodurch deren sich deren Lebensweg unter Zwang verändert.

Wenn das Gesamtbild der Misshandlungen der Heimkinder aus finanzpolitischer Sicht gesehen wird, müsste erkannt werden, dass nur die Trägerorganisation als Profiteure aus den vergangenen Menschenrechtsverletzungen hervorgehen.

Niemals wurde eine Untersuchung in die Wege geleitet die das enorme Wachstum der Heimträger in den Nachkriegsjahren untersuchte. Die Frage gestellt: wie kamen z. B. die Rummelberger Anstalten zu dem was sie heute haben. Legten die Heimkinder durch ihre Kinderarbeit das Fundament zu diesem Reichtum? Wie viel bezahlte der Staat oder auch die Eltern für die Unterbringung der Kinder und Jugendlichen, und weil viel trug Kinderarbeit zum Wachstum des heute Millionen schweren Unternehmen bei? Ich wundre mich ob je ein Staat den Mut haben wird, diese Wahrheit zu untersuchen und zu veröffentlichen.

Im erweiternden Sinn steht die Frage offen, wie viele dieser Misshandelten brauchen heute soziale Unterstützung. Wie viel mehr sind diese Heimopfer krank und Krankenkassen bezahlen für aufwendige Anwendungen. Der Kreis schließt sich hier indem die Gesellschaft und die Politik, die die Misshandlungen an den schutzbedürftigen Kindern nicht verhinderten, heute für diese psychologischen und medizinischen Schäden bezahlen muss.

Heute, als Opfer stehen wir noch einmal vor der Frage der Achtung des Menschen.

Was hat der RTH wirklich für die Heimkinder erreicht?

Natürlich waren Kirchen und Regierung mit dem Fond einverstanden. Die Frage bleibt, sind es die Entwürdigten?

Wurde mit dem Fond die Würde der Missbrauchten und Misshandelten wieder hergestellt? Nein!

Wie schon zuvor, werden die Heimopfer durch den Fond-Verteilung -Modus wieder bevormundet, abgespeist und somit noch einmal in die Rolle der Minderwertigen und Almosenempfänger gedrängt, wenn man einen Vergleich mit anderen Ländern der Welt und deren Opfer zieht.

Rehabilitation, Endstigmatisierung beginnt mit der aufrechten Anerkennung eines Unrechts.

Der erste Schritt einer Wiedergutmachung wäre das Unrechts-Ausmaß ohne Vorbehalte oder Schutz der Schuldigen beim Namen zu nennen. Genau das ist noch nicht geschehen.

Regierung und Kirchen glauben, dass die Almosen aus dem Fond und die leeren Worte von Entschuldigungen das noch immer präsente Trauma besänftigen. Die einzigen Nutznießer sind noch einmal die Heim-Träger und der Staat – nicht die Opfer.

Wenn Wunden des Unrechts der Vergangenheit nicht geheilt werden, können keine wirksamen Präventionen für die Zukunft geschaffen werden.

Ein Land das sein selbstverschuldetes Unrecht nicht sühnt, bleibt blind und baut seine Zukunft auf dieses Unrecht.

Mit freundlichen Grüßen,
Sieglinde Alexander

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